Wenn nicht jetzt, wann dann?
Nach den Prognosen von Marktforschern wächst die Gesamtwirtschaft dieses Jahr um rund 1,7 Prozent. 2018 soll das Bruttoinlandsprodukt um 1,8 und die Produktivität um etwa 1,2 Prozent zule-gen. Die Verbraucherpreise bewegen sich knapp unter der 2 Prozent Zielinflationsrate der EZB. Die Tarifkommission schlägt eine Forderung um die sechs Prozent vor. Darin finden sich auch die Freu-denstädter Delegierten wieder. Horst Kaluza, zweiter Bevollmächtigter (ehrenamtlich) der IG Me-tall Freudenstadt kommentiert dazu ganz pragmatisch: "Der Wirtschaft geht es gut. Eine Forderung unter sechs Prozent steht gar nicht zur Debatte".
Es werde in der nächsten Tarifrunde jedoch nicht nur ums Geld gehen, kündigte Dorothee Diehm, erste Bevollmächtigte der IG Metall Freudenstadt, an. Die IG Metall will Wahlmöglichkeiten für Beschäftigte bei der Arbeitszeit erreichen. Demnach soll eine Reduzierung auf bis zu 28 Wochen-stunden für zwei Jahre mit Rückkehrrecht zur 35-Stunden-Woche möglich sein (kurze Vollzeit). Für belastete KollegInnen, zum Beispiel in Schichtarbeit, sowie Beschäftigte mit Kindern und zu pfle-genden Angehörigen soll es dafür einen Zuschuss zum Entgelt geben.
Dass zur Durchsetzung dieser Forderung der Manteltarifvertrag gekündigt werden muss, ist für Diehm eine logische Konsequenz. Er ist das Herzstück der Tarifverträge und beinhaltet elementare Regelungen, wie beispielsweise der Kündigungsschutz im Alter. Nicht zuletzt auch die Verdienstsi-cherung ab dem 54. Lebensjahr ist dem Arbeitgeberverband schon lange ein Dorn im Auge. Hart-mut Friesinger, Betriebsratsvorsitzender der Firma Ceratizit, bewertetet die Situation wie folgt: "Das wird kein Spaziergang. Klar ist, wir machen den Mantel erst wieder zu, wenn wir am Ziel sind. Eine Verschlechterung an anderer Stelle im Mantel werden wir nicht zulassen". Die Diskussion um eine kurze Vollzeit wirft arbeitsorganisatorische Fragen auf. Vor allem: Wer übernimmt die Arbeit? "Die personelle Besetzung ist knapp. Eine kurze Vollzeit kann nicht losgelöst vom Thema Personal-bemessung diskutiert werden. Es bedarf mehr Mitbestimmung des Betriebsrats in Sachen Perso-nalausgleich", so Alexander Plaz, Betriebsratsvorsitzender der Firma Bosch Rexroth.
Diehm stellt zusammenfassend fest: "Es ist an der Zeit, dass wir als IG Metall uns der Arbeitszeit annehmen. Wir haben die Beschäftigten befragt und einen klaren Auftrag für die kommende Tarif-runde. Dem nehmen wir uns an - und zwar jetzt." Abschließend zur Veranstaltung versammelten sich die Delegierten für ein Foto, um sich solidarisch mit den Beschäftigten der Firma Ernst Um-formtechnik in Zusenhausen, die sich zukünftig für Tarifbindung stark machen wollen, zu erkären. "In Tarifrunden wird deutlich wie wichtig solidarisches Handeln ist. Wir werden den Schwung der Tarifrunde auch nutzen, sei es dort, wo es noch keinen Betriebsrat gibt oder keine Tarifbindung besteht". Die Kampagne der IG Metall "Mehr Wert mit Tarif" rückt Betriebe ohne Tarifbindung wieder mehr in den Fokus gewerkschaftlichen Handelns.
Letzte Änderung: 28.09.2017